Mag Katrin Auer |
[ Texte ] |
Rede von Mag Katrin Auer zur Enthüllung des Kristalltag Objekts in der Goldenen Rathauspassage Steyr: Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Ehrengäste! Wir sind heute Zeugen und ZeugInnen eines positiven historischen Ereignisses – der Enthüllung eines Kunstwerkes im öffentlichen Raum. Ermöglicht durch die Schenkung seines Erschaffers, durch den einhelligen politischen Willen und die Unterstützung vieler Helferinnen und Förderer.
|
Klirrendes Glas, geraubtes Gold, zerstörte Kultur, verfolgte Menschen,
vernichtete Existenzen.
Die Übergriffe und Gewalttaten gegen die Angehörigen und Besitztümer der
jüdischen Gemeinschaft im Zuge der Novemberpogrome des Jahres 1938 werfen
ein düsteres Licht auf unsere Vergangenheit. |
Im September 1938 schrieb die Steyrer Volksstimme: „Es dürfte der Tag nicht mehr allzu ferne sein, an welchem alle Söhne Israels, einerlei ob getauft oder ungetauft, restlos aus unserer Stadt verschwunden sein werden.“ In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 werden im ganzen NS-Reich Pogrome gegen Juden und Jüdinnen von oberster Stelle inszeniert. Die Inszenierung trifft auf Wohlwollen und Mitwirkung in der Bevölkerung. Widerstand regt sich nicht. Spontane Solidarität gibt es in der Regel keine. Zerstörte Synagogen, geplünderte Besitztümer, brennende Häuser, verhaftete Juden und Jüdinnen, verzweifelte Opfer, triumphierende Täter, zufriedene ZuschauerInnen und eine schockierte Minderheit setzen sich zu unserem Bild zusammen. |
Die Steyrer Nachrichten berichten über den 9. November 1938:
"Auch
in Steyr wurde die SS alarmiert und die Juden wurden von den schwarzen
Männern aus den Betten geholt. (…) Die in ihren Wohnungen angetroffen
wurden, wurden in die Polizeikaserne gebracht und dort angehalten, um
berechtigte Ausschreitungen der erbitterten Bevölkerung zu verhindern. Sie
wurden diesmal noch höflich behandelt. Aber bei einer Wiederholung könnten
wir keine Gewähr mehr dafür übernehmen. (…) Wer sich unbelehrbar uns
entgegenstellt, wird vernichtet.“ |
Die Steyrer Synagoge in der Bahnhofstraße wird vom Zerstörungswillen
verschont, da die Kultusgemeinde bereits im August 1938 enteignet und im
Oktober aufgelöst worden war. In zwei Verhaftungswellen werden 18 Steyrer
Juden und Jüdinnen, darunter auch drei Kinder, am 8. und 10. November
verhaftet, um eine Woche später wieder entlassen zu werden. |
Wir blicken heute zurück auf den November in den Jahren 1938 und 1998. |
Zwei Prozesse – zutiefst unterschiedlicher Natur und Intention – sind der Inhalt der beiden Ereignisse: |
Am 7. November 1938 verübt Herschel Grünspan ein Attentat auf Ernst vom
Rath, dem Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris.
Am 7. November 1998 lässt Johannes Angerbauer-Goldhoff 38 Menschen aus
Steyr, die das Schicksal einer Vertreibung erlitten haben, ihre Spuren auf
der Goldfläche hinterlassen, unter der ein Bild von Herschel Grünspan noch
unsichtbar ist. |
Am 9. November 1938 stirbt Vom Rath an den Folgen des Schuss-Attentats und
in der Nacht werden im Zuge des Pogroms reichsweit 400 Menschen ermordet
oder in den Selbstmord getrieben, über 1.400 Synagogen sowie tausende
jüdische Friedhöfe, Geschäfte und Wohnungen zerstört. |
Am 10. November 1938 sollen die Pogrome laut Befehl bis 5:00 Uhr früh
beendet werden. In der Folge werden ca. 30.000 Juden in
Konzentrationslagern inhaftiert. |
Nach der Vergangenheit der Ereignisse und der Gegenwart des Kunstwerks ist
es nun an der Zeit über den Künstler zu sprechen. |
|
Johannes Angerbauer-Goldhoff
ist aufgewachsen mit Gold und lässt sich vom
Spannungsverhältnis zwischen dessen materiellen und immateriellen
Bedeutung inspirieren. |
Ebenso wie Gold hielt sich das nationalsozialistische Regime durch
Propaganda, falschen Schein, durch Gewalt, Ausbeutung und Vernichtung von
Leben an der Macht. |
Die Auseinandersetzung damit liegt für immer in unserer Verantwortung. |
Denn auch wie das Gold immer wieder geschmolzen und in neue Formen
gegossen werden kann, müssen wir wachsam sein, dass verbrecherische
Ideologien wie der Nationalsozialismus oder Faschismus nicht in neues
Gewand gekleidet wieder unser Leben bestimmen. |
Steyr ist dank des vielfältigen ehrenamtlichen
Engagements und des mittlerweile deutlichen politischen Willens
am besten Weg, sich als DENK-ORT zu
etablieren: |
Kristalltag in der Goldenen Rathauspassage |
Dies sind nur einige Orte, an denen wir in Steyr zu Denkanstößen angeregt
werden. |
„Reinigen Sie Ihr Bewusstsein von der Lüge der Reinheit, erkennen Sie die Unreinheit des vom Menschen beschmutzten Goldes – überlegen Sie, ob Sie moralisch in der Lage sind, dieses Gold zu seinem Ursprung zurückzuführen und der Erde wieder zu geben, zu opfern. (…) Nicht die Quantität ist entscheidend, sondern der Wille, dieses Gold zu opfern und nie wieder an sich zu nehmen. (…) Erst durch diesen Prozess der Reinigung, der Rückkehr zur Erde, kann das Gold wahrhaft zum Symbol innerer hoher Werte werden. Visuell sichtbares Gold ist unrein. Unsichtbares, geläutertes Gold ist rein.“ |
Zu guter Letzt möchte ich Johannes Angerbauer-Goldhoff meine Stimme leihen, um seine persönlichen Dankesworte auszusprechen:
|
Zuerst möchte ich mich bei den
38 Menschen
bedanken, deren traurige und berührende Schicksalsspuren für immer in
diesem Goldobjekt bewahrt bleiben und die Forderung des NIEMALS WIEDER
auch für zukünftige Generationen signalisieren. Ich werde mich mein Leben
lang an die Momente der Spurenspenden in den 17 Wohnungen erinnern. |
Mike Glück
sei für seine technische Expertise gedankt. |
Besonderer Dank gebührt den
Haupt-Sponsoren des Projekts: |
Ganz am Anfang, kam die erste Zusage von „SKF“. Als zweites kam in Form von Naturalsponsoring
für die Bausteine und den noch kommenden Infoflyer, die Steyrer
Werbegrafikagentur „Die Besorger“.
|
Zum Schluss möchte ich mich noch bei allen
Kristalltag-Baustein Käuferinnen
und Käufern herzlich bedanken. Der Baustein ist nicht als Spende zu
sehen. Er ist ein kleines Kunstwerk, das als nummeriertes und limitiertes
Unikat die Forderung des NIEMALS WIEDER in sich trägt und durch seinen
Besitzer mittels Bewegungsenergie immer wieder aktiviert
aber
auch vererbt werden kann. |
Danke für die Geschenke der Inspiration und des „Zufalls“ und an deren
treibende Kraft die dahinter steckt. |
Dir liebe Katrin, Danke für die Verlesung meiner Dankesworte und für
Deine Rede! |
Falls ich jemanden in meiner Dankesliste vergessen habe, bitte ich
dies zu verzeihen. |
Dir, lieber Johannes, herzlichen Dank für dein menschliches Feingefühl und
dein künstlerisches Gespür für visionäre Erinnerungsarbeit.
|
|
Mag. Katrin Auer ist Historikerin und Politologin.
Sie war bis
2019 Geschäftsführerin des Museum Arbeitswelt Steyr.
|
|
Zur Projektseite des Kristalltag Objekts www.kristalltag.com
|
|