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Schlaflos in Cusco

 

Irgendwann Mitte der 1990er Jahre beschloss ich, mein Studium durch einen Aufenthalt im Lateinamerika zu vervollständigen. Dummerweise hatte ich mir als Reisezeit den Frühling ausgesucht, eine Jahreszeit, die oft enorme Regenfälle bringt.

 

Meine Reise hatte in Quito in Ecuador begonnen und führte mich über verschiedene Städte in den Anden schließlich an die Küste Perus nach Lima. Von Lima wollte ich eigentlich mit dem Bus nach Cusco fahren, um mir nicht nur die alte Inkahauptstadt, sondern auch das sagenumwobene Machu Picchu anzuschauen. Aufgrund der starken Regenfälle und in der Folge Murenabgänge war allerdings eine Reise mit dem Bus völlig unmöglich, Straßen waren unpassierbar, Teile weggerissen worden. So entschied ich mich also für einen Flug, welcher auch ein wenig abenteuerlich war, weil wegen des schlechten Wetters die Turbulenzen gewaltig und der Schrecken über das Abstürzen in diverse Luftlöcher auch den Einheimischen ins Gesicht geschrieben stand.

Als ich nach meinem Ausflug nach Machu Picchu ungemein beeindruckt wieder in Cusco angekommen war, buchte ich aufgrund des weiterhin stürmischen Wetters und diverser Felsrutsche meinen Flug nach El Alto, den Flughafen von La Paz.

Da ich nicht die einzige Touristin war, die außerhalb der Saison in Cusco war, hatte ich Schwierigkeiten, ein Zimmer für die Nacht zu finden. Schliesslich gelang es mir doch, der Preis für die Nacht berechnete sich allerdings nach Stunden...

 

Als ich mein Zimmer bezog, stellte ich fest, dass das Bett über keine gewöhnliche Matratze verfügte, sondern über einen Strohsack. Um mir über das Innenleben desselben keine allzu klaren Gedanken machen zu müssen, breitete ich meinen Schlafsack penibel darüber aus und legte mich Schlafen, schließlich musste ich am nächsten Tag früh aus dem Stroh, um so viel wie möglich von La Paz sehen. Bald jedoch wurde mir klar, dass das mit dem Schlafen nicht ganz so einfach war. Es juckte mich plötzlich überall und im Schein meiner Taschenlampe vermeinte ich auch kleine Einstiche festzustellen, aber das charakteristische Surren der Mosquitos war nicht zu hören. Ich schloss das Fenster, machte Licht, konnte aber keine einzige Stechmücke entdecken; das hätte mich auch gewundert, schließlich liegt die Stadt auf über 3000 Metern und damit auch über der Stechmückengrenze. Trotzdem packte ich mein Moskitonetz aus und drapierte es, so gut es ging, über meinem Bett. Und immer noch machte ich die ganze Nacht kein Auge zu, es juckte und juckte, ich kratzte mich blutig und es juckte noch viel mehr. Als es schön langsam tagte, fiel ich schließlich in einen tiefen, erschöpften Schlaf, aus dem ich erschrocken aufschreckte, um festzustellen, dass ich bis zum Abflug nur mehr 10 Minuten hatte!

 

So schnell war ich wohl noch nie in meine Kleider gesprungen, ich packte meine Sachen und raste zum Flughafen. Aber natürlich war ich zu spät; wütend und enttäuscht setzte ich mich in die Abflughalle und inmitten der lauten, aufgeregten Menschen fluchte ich auf alle Moskitos dieser Welt, auf meine Blödheit, ausgerechnet in der Regensaison auf große Reise zu gehen und überhaupt auf alles was mir in den Sinn kam. Währenddessen kratzte ich unaufhörlich meine vielen Dübel, was wiederum die Aufmerksamkeit eines anderen Reisenden erregte. “Oh, that’s a bad case of bed bugs.“

Das auch noch: Bettwanzen! Mir grauste augenblicklich noch viel mehr, und ich überlegte fieberhaft, wieviel meiner Kleidung ich entbehren konnte, um sicher zu gehen, dass ich die Viecher nicht überallhin mitnahm und wie ich meinen Schlafsack Wanzenfrei kriegen könnte.

Mitten in meinen Überlegungen fiel mir auf, dass es rund um mich plötzlich ganz still geworden war in der vor ein paar Minuten noch ohrenbetäubend lauten Abflughalle. Schließlich hörte ich auch vereinzelt leises Weinen und ungläubiges Gemurmel. Alle schauten gebannt auf den Fernsehbildschirm. Als ich auch hinsah, begriff ich zuerst nicht, was ich da sah, zu unwirklich schien mir das. Man sah rauchende Wrackteile, eine vom Metallregen graue Landschaft, Menschen, die zwischen Resten von Passagiersitzen nach Überlebenden suchten, Koffer lagen überall verstreut, ein paar an den Füßen zusammen gebundene Hühner (sie werden in Lateinamerika gewöhnlich im Passagierraum transportiert) zuckten noch verzweifelt aber vergeblich mit den Flügeln, gackerten aufgeregt. ?qué ha pasado? Ein Flugzeug war abgestürzt, aber nicht irgendein Flugzeug, sondern das, das ich gerade verpasst hatte, aufgrund einer schlaflosen Nacht wegen einer Bettwanze.

Völlig geschockt wurde mir klar, dass mir diese kleinen fiesen Biester gerade das Leben gerettet hatten.

 
 
Ruth P. für die Goldene Eisenstrasse (tm) - 2019 - Lebensbaum Steyr (c)

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