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2. Der Goldbegriff in seiner Mehrdeutigkeit
 
2.1. Ambivalenz der Werte
 
Die Geschichte des Goldes ist durchzogen von der Ambivalenz seiner Werte und der Zwiespältigkeit seines Charakters. Der Wert des Goldes ist im Gegensatz zu dem des Geldes nicht nur materiell, sondern auf vielfältige Weise auch ideell. Kein anderes Material erfuhr über Jahrtausende hinweg eine so unterschiedliche philosophische und weltanschauliche Bedeutung und Bewertung. Es verkörpert die Verschmelzung von Materiellem, Ideellem und Ästhetischem.
 
Die Bedeutung des Goldes, seine religiös und gesellschaftlich wirkende integrative Funktion, korrespondiert mit dem Glanz, mit der Verfügbarkeit, mit dem Schein und mit der Oberfläche des Goldes. "Die materielle und substantielle Realität Gold ist ihrerseits relativierenden Wertmaßstäben ausgesetzt. Dies gilt (auch) für die verschiedenen Ebenen des faktischen Gebrauchs von Gold: die Schwankungen und labilen Balancen des merkantilen Goldwertes als aktuelle Gradmesser ökonomischer Verflechtungen und Bestandsaufnahmen, an denen sich unterschiedlichste Interessen ausrichten."(5)
 
Die Natur des Goldes ist einzige Konstante innerhalb der verschiedenen Wahrnehmungsebenen. Als chemisch reines, nicht zu änderndes Urelement, unterliegt es lediglich handwerklicher und ideeller Veränderbarkeit. Das Gold wird somit einem künstlerischen Prozeß unterzogen, in dem es zu ästhetischen Schmuckstücken und Kunstobjekten umgeformt wird. Das Gold erfüllt das ideelle und materielle Schmuckbedürfnis der Gesellschaft. Seine ästhetische Verformung ist die Motivation der Kunst. Gold wird den Gebrauchsinteressen der Gesellschaft angepaßt und damit einem künstlichen Prozeß unterzogen, der die natürliche Dimension des Goldes verwendet und über die Ästhetik ideell verwertbar macht.
 
Die Ambivalenz der Werte im Umgang mit Gold ist das zentrale Thema in der künstlerischen Konzeption von Johannes Angerbauer. Bewußt steht der im Werk des Künstlers so dominante Aspekt der "sozialen Skulptur" im Gegensatz zum eingesetzten Material Gold. Gold ist nach traditioneller Interpretation das Auratische, das absolut Wertvolle, das Höchste, das die Beständigkeit der Werte signalisiert. Bei Angerbauer wird es jedoch als feinster Blattgoldüberzug zur Abnützung freigegeben. Gold als eigentliches Symbol des Strebens nach Macht und Besitz in unserer Gesellschaft wird hier als Gestaltungsmittel für das Bewußtmachen sozialer Prozesse und menschlichen Leids eingesetzt.
 
Angerbauer durchbricht konsequent die traditionelle Sichtweise des "absolut wertvollen" Goldes. Er gestaltet Gold zudem als eine Art Spiegelbild, das die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich selbst zurückführen soll. "Überdeutlich werden wir mit der Frage nach dem Gleichgewicht zwischen Wertnehmen und Wertgeben konfrontiert, mit der Frage nach einem sozialen, materiellen und geistig-energetischen Ausgleich"(6).
 
So stellt Angerbauer zum Beispiel im Rahmen seiner "goldenen Bodenfelder" der sich ständig verändernden goldenen "Spiegelschicht" Bilder und Texte gegenüber, die oftmals in zeitgeschichtlichem oder übertragenem Bezug zum Material Gold stehen (Abb. 3). Durch Kombination gegensätzlicher Bilder entstehen Formen und Inhalte, die aus alltäglicher Wirklichkeit und goldgeprägter Transzendenz bestehen und direkt-indirekt ausgesprochene Verweise, unausgesprochene Suggestionen und verstrickte gegenläufige Bezüge darstellen. "Stets werden diese Bild- und Textzitate als Frage formuliert; zugleich als Hinweis auf vielfach festzementierte Wertungs- und Zuordnungshaltungen."(7)
 
In seinem Werk wird auf sehr subtile Weise vorgeführt, wie mit den Mitteln der aktuellen Kunst eine kritische Reflexion dieser Zementierung erfolgen kann. Seine Kunst definiert sich inmitten der Gesellschaft auf vielfältige Art und Weise als wirkendes Bewegungselement der Reflexion.(8)
 
Er und andere zeitgenössische Künstler möchten durch ihre Erfahrungen im Umgang mit der materiellen und ideellen Wirkung von Gold Denkprozesse auslösen, um das Bewußtsein zu erweitern und die Wahrnehmung zu erhöhen. Hintergründe und Zusammenhänge dieser Erfahrungen mit Gold als zentrales Motiv und als wesentlicher Erscheinungsträger unserer Zeit werden auf diese Weise bewußt. So ist diese zeitgenössische "goldene" Kunst ein realistischer Spiegel unseres "gesellschaftlichen Gefühls"(9), unseres "epochalen Klimas und damit eine ihrerseits faszinierende, aber auch herausfordernde aktivierende Kraft."(10)
 
Die wesentliche Komponente goldspezifischer künstlerischer Darstellung beruht auf der Übertragbarkeit der Faktoren, die mit Gold, seiner Wirkung und Auswirkung auf den einzelnen, den sozialen, den gegenwärtigen und den geschichtlichen Menschen zu tun haben. Künstler erfassen die gegenwärtige Situation unserer Konsumgesellschaft als verbesserungsbedürftig. Sie ist eine auf Schein und Suggestion, auf Verschleiß und Inflation von Werten ausgerichtete Mediengesellschaft.
 
"Nie zuvor in der Geschichte haben sich Euphorien so ungebrochen, scheinbar ungetrübt und bedingungslos artikuliert. Gold - und die Metapher vom ungelebten "Goldenen Zeitalter" - ist in materieller und ideeller Hinsicht geradezu das Produkt jener Euphorien in einer Kulturphase, die sich bewußt oder unbewußt ein "Goldenes Zeitalter" als Lebensgefühl unterstellt, die es sich zu eigen gemacht hat, Verwertung von Materialien und Ideen zur Tugend zu machen."(11)
 
Ein weiteres prägnantes Beispiel ist die Verwendung von Gold in der Geschäftsbau-Architektur, z.B. ein von außen vollständig vergoldeter Verwaltungsbau, der Trump-Tower in New York mit vergoldeter Inneneinrichtung, eine "Pralinenschachtel aus Gold und Purpur". So werden Visionen, Utopien und Fiktionen ungelebter oder unlebbarer Zustände, das "Goldene Zeitalter", materialisiert.(12) Zeichen der Zeit und bestimmendes Element unseres heutigen kulturellen Gefälles und unseres gegenwärtigen Stimmungsbildes ist die folgenschwere und damit einhergehende Widersprüchlichkeit zwischen Schein und Wirklichkeit, Euphorie und Realitätsbewußtsein.
Das was zeitgenössische Künstler am Gold interessiert, betrifft alle denkbaren Elemente in der Übertragbarkeit der Wirkungen und Wertigkeiten von Gold.(13)
 
"Die faßbare persönliche Spur der Künstler ist das Lebensgefühl selbst, das innerhalb konzeptioneller und theoretisch fundierter Arbeitskriterien visuell, bildlich, direkt zum Ausdruck kommt. Ideen, Kreativität, Inspiration, Exotik, Pracht, Sinnesreichtum, Phantasie werden über die Metapher Gold, über Material, Farbe und den assoziativen Erinnerungswert, den es ausmacht, konkret. Die darin sichtbare narzißtische Seite individueller Selbstwahrnehmung ist mit dem Selbstwertgefühl der Künstler, ihrer gesellschaftlichen Position und gesellschaftlichen Integration gekoppelt."(14)
 
Gold wird als Erhebung, als glorifizierender und sakraler Hintergrund verwendet. Diese kulturgeschichtliche Erfahrung findet seit der Malerei des Mittelalters bis hin zu Werbekonzepten von heute statt: Gold als Synonym für Macht, Glanz, Reichtum, Ruhm und Leistung. Andy Warhol z.B. zeigt die Ambivalenz dieser kunstgeschichtlichen Bedeutungsmetapher und ihres immer wiederkehrenden Gebrauchs als Dekorationswert für seine "Gold-Stars". Marilyn Monroes Starimage wurde durch die Symbolfarbe Gold regelrecht hochstilisiert. Die Werke dieser Serie erhielten geradezu einen sakralen Charakter, wobei sie gleichzeitig wie Verbrauchsgüter für eine schnellebige Konsumgesellschaft produziert wurden.
 
 
 
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(5) Osterwold Tilman 1991, S. 26
(6) Assmann, Peter 1995, S. 5
(7) ebd.
(8) ebd.
(9) Osterwold 1991b, S 14
(10) ebd.
(11) ebd.
(12) ebd.
(13) ebd.
(14) Osterwold 1991b, S 14-15